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Von Essen nach München – Reisebericht einer Expedition von Gordon Kampe

München ist eigentlich nicht ganz aus der Welt, aber wegen Alexanders Frage nach einem Reisebericht fühlt sich’s nun wie eine Expedition an. München ist für mich Urlaub. Da machten wir früher auf dem Weg nach Tirol immer mal Halt. Wenn ein Berg nur in der Nähe ist, flippe ich förmlich aus. In meiner Heimatstadt gibt es nur den Gysenberg, der immerhin krasse 42 Meter hoch ist und auf dessen Gipfel ein Streichelzoo prangt.

Außerdem: Weißwürste. Ich liebe Weißwürste. Und auch wenn das schreckliche Touri-Verarsche ist und das kein Einheimischer je tut: Ich werde nachher auf dem Viktualienmarkt Weißwürste essen. – Mit dem Festival verbinde ich eine meiner ersten Aufführungen außerhalb des geschützten Hochschulrahmens: Ich durfte vor gefühlten 100 Jahren ein Lied zum Dichterlieben Zyklus (Thomas Berau und Moritz Eggert) beisteuern und habe vor der ersten Probe fast hyperventiliert. Dann erinnere ich mich noch sehr gerne an ein anderes aDevantgarde-Stück für alte Instrumente. Das war toll, glaube ich. Danach habe ich noch ein Kinderstück geschrieben – das ging schief. Ich hab’s versemmelt und der latent angezwitscherte Regisseur hatte dann auch noch ein paar Ideen. Ich muss da also etwas gutmachen in München…

Ich schreibe das hier im ICE zwischen Essen und Düsseldorf. Es ist erst 7:05h und ich musste mich vor 15 Minuten leider mit diesem Knilch beim Bäcker anlegen, der dauernd „wass’n noch, guter Mann?“ zu mir sagte, während ich Entscheidungen zu fällen hatte. Ich werde immer fuchtig, wenn ich vor dem ersten Kaffee schon angerappt werde. Vor ein paar Jahren hatte ich so einen Hilfshiphopper mal im Seminar. Es ging um frühe Mehrstimmigkeit. Sagt der Student mit Mütze: „Yo. Leonin und Perotin: die hatten voll den Score.“ Der Bruder konnte sich die Credits knicken. Yo. In der Woche drauf war „Eine Nacht auf dem kahlen Berge“ dran. Da hieß es dann: „Yo, seid Ihr alle im Hexenmood?“. Seitdem habe ich Vodoo-Puppen im Büro.

7:16h: Düsseldorf. Um politisch korrekt zu sein, muss man diese Schickimicki-Stadt doof finden. Finde ich natürlich auch. Aber es gibt hier tolle japanische Restaurants in der Nähe des Bahnhofs – und, fast noch besser, einen Koreaner: In das Bibimbap könnte man sich reinlegen, bekäme man von dieser roten Atomsoße nicht Verbrennungen dritten Grades.

7:41h: In Köln, der heiligen Stadt. Köln bekommt einen neuen Erzbischof, sein Name ist Ansgar Puff. Welcher Spaßverderber hat die Regel „no jokes with names“ aufgestellt? Als Freund unterirdischer Kalauer leide ich Höllenpein.

7:53h: Erster Höhepunkt des Tages: Der Krawattenheini, der was von Investment labert, hat sich sein Hemd inklusive Krawatte gerade komplett mit Kaffee besudelt. Herrlich. Jetzt schmollt der Ärmste, och. Wir sind noch im Rheinland – hier wirkt die Macht des neuen Papstes besonders stark.

8:36h: Frankfurt Flughafen. Fleckenkrawatte fragt seine Kollegin: „Was ist dein Objective für das Meeting heute?“ Wenn der so weitermacht, ist die Hose auch bald hin. Ansonsten: Stimmung im Wagen 27. Eine chinesische Reisegruppe hat soeben das Abteil geentert – Gott sei Dank funktioniert die Reservierungsanzeige nicht. So ist das viel lustiger.

9:40h: Viertelstunde Verspätung in Aschaffenburg und meine Frau, soeben erwacht, verspeist ihr Wurstcroissant. Unsere Ehe wird diesen kulinarischen Affront aushalten.

11:48h: Bis jetzt hat die chinesische Reisegruppe ein kollektives Nickerchen gemacht. Nun scheint der Herr mit dem Uhrzeitgähnen schräg gegenüber leicht verspannt zu sein. Seine Gemahlin eilt ihm zu Hilfe, entblößt seinen Oberkörper zu 38% und knetet ihn wild durch, während sich sein Uhrzeitgähnen zu einem kosmischen Grunzen verdichtet. Das erinnert mich schmerzhaft an den ersten Besuch bei meinen taiwanesischen Schwiegereltern. Schwiegervater lud mich zu einer Massage ein. Da Wellness voll mein Ding ist, willigte ich ein – nicht ahnend, dass das, was dort unter Massage verstanden wird, bei uns unter „Verprügeln“ firmiert. Plötzlich lag ich da und zwei ältere Herren (die angeblich noch persönlich gegen Mao gekämpft haben) liefen auf mir herum bis es knackte. Oh, hätte ich mein Aufnahmegerät dabei gehabt.

12:05h: Da ist ein Hopfenfeld! Irgendwas in mir will jodeln.

12:09h: Wir halten außerplanmäßig neben einem Rehgatter. Irgendwas in mir hat Hunger.

13:10h: Angekommen im Hotel. Diese Bildschirmfische machen mich fertig. Vor Beginn des Festivals jetzt noch ein bisschen Touri sein.

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Nischenmusik und Klopfgeister von Gordon Kampe

Gordon Kampe hat seine Uraufführung „Nischenmusik mit Klopfgeistern“ am 22.6.13, 19:30 Uhr im Club Bob Beaman mit dem Decoder-Ensemble. Doch zuvor lässt er uns ganz privat in die Ecken seines Heimes blicken:

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Abb. 1

Beim Suchen nach Nischen in meiner Wohnung habe ich festgestellt, dass sich unbemerkt und direkt vor meinen Augen eine prächtige Nischentheorie entwickelt hat. Die genormt langweiligen Schwedenmöbel etwa, hinterlassen herrliche Nischen im dämlich geschnittenem Heim, die mit wirklich wichtigen Dingen gefüllt werden wollen, z. B. einem Massagekissen. Im Arbeitszimmer, an jenem unheimlichen Ort zwischen Gedöhnsablage und Schreibtischfuß, habe ich mein Theremin untergebracht. Vgl. dazu Abb. 1. (In anderen Nischen ahne ich Geld und Kekse.)

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Abb. 2

Wenn der Rahmen der Nische hingegen vor Schönheit nur so strotzt – vgl. dazu Abb. 2: Klavier und Bücher – dann kann die Nische auch mal leer bleiben. In Nischen kann also sehr viel Schönes stattfinden, wenn der Rahmen Mist ist. Deshalb fühlt man sich ja manchmal in der Nische auch so pudelwohl. Und gerade deshalb sollte keine Nische ohne Klopfgeister auskommen. Sie sind es, die in der Nische Unruhe stiften. Sie sind es auch, die aus der Nische herausragen. Geht man an der Nische vorbei, muss es schon ordentlich aus ihr klopfen, wenn sie wahrgenommen werden will. Sonst interessiert sich keine Sau dafür und sie wird entweder vollgerümpelt oder, noch schlimmer, von mobilen IKEA-Eingreiftruppen genormt und ent-nischt. Gordon Kampe

Das Festival steht vor der Tür: Gordons Nischen, Markus‘ Winkel und Oscars Wellen

Jetzt ist es bald soweit: das 12. aDevantgarde-Festival steht unmittelbar vor der Tür. Alle Partituren sind fertig, mancher Musiker von den anstrengenden Endproben. Als letzter wurde ich fertig. Kein Wunder, wenn man einerseits die beauftragten KollegInnen anhält, zu Potte zu kommen. Immerhin bleibt mir Johannes Paul II. papaler Glanz vergönnt: mit „non abbiate paura“, deutsch „habt keine Angst“, nehme ich hoffentlich den letzten Zweiflern die Furcht. Was ich aus Hamburg von den Proben des Decoder-Ensemble verraten kann: es gibt den Musikern um Leopold Hurt und Frauke Aulbert sogar Freude, so dass ihr gesamtes Programm für den 22.6.13, 19:30 Uhr, Club Bob Beaman, ihnen Spass machen dürfte. Gordon Kampes dort auch anstehende Uraufführung „Nischenmusik“ hat mir beim reinem Notenlesen köstliches Vergnügen bereitet.

Bevor ich selbst an der Reihe sein werde, richte ich meine Aufmerksamkeit auf das Vigilia-Konzert, 21.6.13, 21:30 Uhr, Allerheiligenhofkirche. Markus Schmitt hat mit Julius Berger ein wirklich wunderbares Programm erarbeitet! Die Klassiker von Sofia Gubaidulina und Arvo Pärt für Cello-Ensemble sind ruhende Eckpfeiler, zwischen denen die anderen bereits bestehenden Stücke von Manuela Kerer und Giovanni Bonato hoffentlich in guten Händen von Julius Berger und seinem CelloPassionato aufgehoben sein werden. Im Gegensatz zu Kampe sah ich Markus Schmitts „In den Winkeln“ – Nokturn für acht Celli noch nicht. So geheimnisvoll wie Markus daran feilte, bin ich höchst gespannt, ob sein Stück aufgehen wird. Aber auch ihm blieb wie mir wenig Zeit zum eigenem komponieren: ich regte ihn an, ein Cellosolo-Streichorchesterwerk seines Lehrers Wilhelm Killmayer für CelloPassionato und Herrn Berger umzuarbeiten. Er überzeugte Killmayer von diesem Plan und machte sich ans Werk, „Sostenuto“, eine Art Studie über das Ein- und Ausatmen, von Streichorchester für acht Celli zu reduzieren.

Wir sind nun richtig stolz, so eine Uraufführung einer neuen Version eines Killmayer-Werkes bekommen zu haben. So bekannt Wilhelm Killmayer hier in München und Süddeutschland ist, so wurde es merkwürdigerweise ruhiger um ihn. Gesundheitlich in den letzten Jahren angeschlagen, komponierte er immer weniger. Allerdings sollte dies ihm keine Probleme mit Aufführungen bereiten, kann er doch auf einen reichhaltigen Werkkatalog zurückblicken. Kammermusikalisch und vokal ist er nach wie vor präsent. Die Orchester vernachlässigen ihn allerdings sträflich, was um so mehr erstaunlich, wo sein aufgeführtes Oeuvre doch immer ein Ereignis für Kenner und Laien ist, wie er das Feld zwischen enigmatischer Fülle des unmittelbaren Einfalls und der wohldosierten Kargheit beherrscht. Es freut uns ungemein, ihn als Meister der grösseren Besetzung mit unseren bescheidenen Mitteln dem Publikum in Erinnerung rufen zu dürfen.

Eine weitere Anregung meinerseits für das Vigilia-Konzert ist die Auftragsvergabe an Oscar Strasnoy. Das Festivalteam war gespannt, ob er Zeit für uns finden wird. Seine Musik kenne ich aus Konzerten und Erzählungen meiner Frankfurter Studienkollegen, die ihn als Schüler von Hans Zender erleben durften. Inzwischen hat er sich zu einem der wichtigsten Opernkomponisten Europas entwickelt, werden seine Opern in Italien, Frankreich und Deutschland beauftragt und wiederaufgeführt. In München erlebte man zuletzt eine Produktion der Theaterakademie mit „Le Bal“. Wie man jetzt sieht klappte es! Er widmete uns „Vague Requiem“, welches auf einem Roman von William Faulkner beruht und wonach er, der Unerschöpfliche und Ideenreiche, wieder eine Oper komponiert. Danke Oscar!

Autor: Alexander Strauch