Archiv für den Tag 20. Juni 2013

Sebastian Schwab bloggt für’s Festival I

Der jüngste Komponist des Festivals ist Sebastian Schwab, dessen Stück „Capriccio“ für Posaune und Violine/Klavier im Rahmen von „my favourite little dogma“ am 22.6.13, 17 Uhr, Bayerische Akademie der Schönen Künste erklingen wird. In mehreren kurzen Texten wird er seine Eindrücke vom Weg zum Stück, dessen Aufführung und das Festival im Gesamten berichten. Hier der erste:

Ein leeres Notenblatt, leere Notenzeilen…wunderschöne Sekunden für jeden Komponisten, die man genießen muss…bevor man seine Gedanken und Gefühle freilässt und die erste Note wagt. Von nun an muss man es sprudeln lassen und den Moment leben.

Irgendwann ist die Komposition fertiggestellt und man erwartet mit Vorfreude die erste Probe, wenn man mit anderen Musikern sein Innerstes in Klang verwandelt. Heute durfte ich diese spannende Situation aufs Neue erleben. Und jetzt kann ich es nicht mehr erwarten, meine Musik dem Publikum, Freunden und anderen Komponisten zu Gehör zu bringen. Sebastian Schwab

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Freiheit und Geist, Entscheidung und Gebundenheit – eine Hommage an Sandeep Bhagwati von Alexander Strauch

Am Fr., 21.06.13, 19:30 Uhr, Allerheiligenhofkirche, ist Sandeep Bhwagwatis Uraufführung der erste Kristallisationspunkt des Festivals in AENIGMA et STUPOR mit Iris Lichtinger und Stefan Blum. Rätsel und Erstarrung mag die Musik des Abends sein, die Erinnerung und das Erlebnis dieser aus der Hand Sandeeps bedeutet für mich Wachheit und Klarsinn. Denke ich an Sandeep Bhagwati, sehe ich Gandalf vor dem inneren Auge. Sandeep ist für mich immer so etwas wie das ästhetischen Gewissen der A•DEvantgarde gewesen. Damals, das war Anfang der Neunziger Jahre, schrieb sich das jetzige aDevantgarde-Festival noch so. Das erste Festival hatte ich als Besucher erlebt, das zweite, eines der größten Festivals der aDevantgarde-Historie überhaupt, räumte mir Platz als einer der jüngsten Komponisten ein. Hierfür sei vor allem Sandeep gedankt, der nach Vermittlung einer gemeinsamen Freundin den Mut aufbrachte, mich in der Marathonnacht mit einem Trio zu präsentieren. Allerdings verschoben sich alle Zeiten brutalstmöglich in die Nacht hinein, so dass mein Stück letztlich ausserhalb des Festivals im Kaminzimmer der Musikhochschule lief. Dies war oder wäre auch mein einziger Auftritt als Instrumentalist auf unserem Festival gewesen. Immerhin waren wir kurzzeitig sogar noch Studienpartner, er im letzten Jahr der Meisterklasse, ich im ersten Jahr des Grundstudiums.

Das vereinfachte den Zugang zu Sandeep, mit ihm über Musik zu sprechen. Unser Lehrer von Bose analysierte mit uns Debussys „Pelléas et Mélisande“, um wohl zu zeigen, dass trotz all der fantastischen Neuerungen in Klang und Charakteregestaltung die Dramaturgie an sich dieses symbolistischen Stückes fragwürdig sei, da man niemals langweilen dürfe. Sandeep ergriff immer Partei für das Poetische im Dramatischen. Ich war da zwischen beiden Meinungen immer hin und her gerissen, konnte dem Poetischem und der Debussyschen Ablösung vom Vorbild Wagner, besonders dessen Parsifal, aber doch auch eine Menge abgewinnen. So kurz nur ich Sandeep als Student erleben durfte, so strahlte er eine ästhetische Sicherheit und Erhabenheit aus, die es mit dem Professorenkollegium aufnehmen konnte. Dieses rächte sich bitterlich, indem es Sandeep nach satiehaften und wunderschönen minimalistischen Dadaismen seines Meisterklassenpodiums durchfallen ließ. Sandeep trat als eigener Pianist auf, zeigte sehr deutlich seine Grenzen am Klavier, hinterfragte dies aber mit einer eigenen hintersinnigen Geistigkeit, der das damalige Kollegium nicht folgen wollte.

Sieht man nur kurz auf die späteren Stationen Sandeeps, schadete dies ihm nicht, wurde er trotzdem Professorenkollege Rihms in Karlsruhe, erhielt er den Ruf an die Concordia-Universität im kanadischem Montréal. Die Lust am Spielen mit dem Material einer Komposition, nicht nur im Laufe des Kompositionsprozesses, sondern auch im Moment der Aufführung selbst, die eigene Hinterfragung im Moment von sonst festgelegter und eingeübter Interpretation, das Wachhalten des Geistigen im jeden Moment des spielerischen Daseins, verfolgte er weiter und schuf für sich die Form der „Komprovisation“, der komponiereten Improvisation. Das Wachhalten des Spirituellen im jeden Moment könnte man auf seine indischen Wurzeln zurückführen. Dieser indische, deutsche, schweizerische und kanadische Mensch ist aber viel eher ein waschechter Kosmopolit. So thematisierte er die Fremdheit von Menschen in unserer Zeit als Migranten, sei es als riesige Oper wie seinem „Ramanujan“. Oder sei es als Geschichte von drei Frauen, drei Schwestern, die niemals ihre Wohnung in Bombay verliessen und ihrerseits als dem lokalem Verwurzelte von ihrer mobileren Umgebung als befremdlich empfunden worden sind. Das Stück „Trois Femmes“ vereinigte durch das programmierte Reagieren der Elektronik auf die Aktionen der drei Darstellerinnen schon weit vorausschauend Sandeeps Stil Mitte der Neunziger Jahre am Pariser IRCAM. Für das diesjährige Festival kehrt Sandeep nun endlich an einen seiner Ausgangspunkte zurück.

Mit „Nirgun Bhajan“ für Schlagwerk und singende Blockflötistin greift er literarisch und musiktheoretisch die indische Tradition auf. Übersetzt könnte der Titel in etwa „Lieder der göttlichen Leere“ heissen. Das Schlagwerk gibt mit den unterschiedlichen Idiophonen das Tonmaterial vor, welches dann beide Musiker in strenger Einstimmigkeit gemeinsam durchleben. Sandeep sagt dazu: „Obwohl alles in dieser Partitur notiert ist, wird jede Einstudierung dennoch ganz eigen sein, bestimmt von den Fähigkeiten und Entscheidungen der ausführenden Musiker.“ So blieb er sich über die Jahrzehnte treu, verbindet Minimales mit Momenten der Freiheit, was ja auch Spiritualität auszeichnet: sich hingeben, dies aber vollkommen frei vornehmen, jederzeit darin selbst einsteigend wie auch das Ende bestimmen könnend, was aber meist ausbleibt, taucht man erst einmal in die Welt des Geistigen ein.

Von Dogma zu Dogma – Ernst Bechert über die Entwicklung von Komponistenverschwörung zur 12. aDevantgarde

Ernst Bechert und Stefan Schulzki sind beide Mitbegründer des Komponistenkollektivs „Komponistenverschwörung„. Dieses hat sich in einem seiner Programm schon einmal mit der Frage des Lieblinsdogmas eines Komponisten in kurzen Stückjuwelen auseinandergesetzt. Somit sind Ernst und Stefan, beide auch im aDevantgarde-Verein aktiv, prädestiniert, ihr Können in „my favorite little dogma“ am 22.6.13, 17 Uhr, in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste unter Beweis zu stellen. Ernst war so freundlich und hat den Weg von damals zu heute in einen kurzen Text aufzuzeigen:

Vor Jahren habe ich mir mal für ein Programm der „Komponistenverschwörung“ das Motto „Dogma/Antidogma“ ausgesucht – das schien mir ein guter Assoziationskern, an den sich sehr unterschiedliche Stücke andocken ließen – elastisch genug, um vieles unterzubringen und kompakt genug, dass sich damit ein flotter Antrag für Fördergelder schreiben ließ.
Nun wurde ich durch den kleinen aDevantgarde-Auftrag wieder auf das Thema gestoßen, und ich habe es diesmal ganz anders behandelt: mit einem Verweis auf die „Unanswered Question“ des großen Transzendentalisten-Fans Charles Ives.
Diesmal antwortet dem einsamen Blechbläser noch nichtmal ein geschwätziges Metaphysiker-Spezialistengremium, verkörpert durch etwaige Holzbläser. Der Antwort-Raum wirft nur die verzerrten Echos der Calls zurück. Leise vibriert darin allerhand Flüchtiges.
Bin gespannt, was sich die komponierenden Kollegen ausgedacht haben!

Autor: Ernst Bechert

Multitasking und Messe – Johannes X. Schachtner im Interview zu unserer beider künstlerischen Leitung und seinem Projekt

Von Alexander Strauch

„MISSA EST!“ ist der Titel des Abschlusskonzerts am 23.6.13, 17 Uhr, in der Universitätskirche St. Ludwig und gleichzeitig das Motto des gesamten 12. Internationlen aDevantgarde-Festivals. Dieses Konzert ist die Idee von Johannes X. Schachtner, mit dem ich zusammen die Künstlerische Leitung inne habe. Johannes konnte für sein Projekt unseren neuen aDevantgarde-Kollegen Volker Nickel für die Komposition des Credos gewinnen, ein hochkomplexes, genaues und kleinteiliges Werk, dass förmlich die psychischen Strukturen des liturgischen Textes freilegt. Johannes erster Kompositionslehrer Rudi Spring vertonte die seit dem Barock der komponierten Messe fehlenden Teile wie Introitus, Responsorium, Offertorium oder eben jenes Missa est. Geschickt formte er daraus einen auch eigenständig aufführbaren Liederkreis auf Texte der Bibel wie von Annette von Droste-Hülshoff und Georg Trakl – wer hätte je gedacht, dass es der Oberexpressionist in die Messliturgie schaffen würde. Ruby Fulton ist mit ihrem Kyrie und Gloria amerikanisch-unkompliziert direkt an die Vorlagen herangegangen und schlägt sie die affirmative Seite an, die Neuer Musik oft zu fehlen scheint, wenn sie sich der Tradition annähert. Manfred Stahnke schrieb mit „Last Supper“ ein Orgelwerk, dass an Ligetis Volumina anknüpft und den Spagat vollführt, dessen Herangehensweise im engen Zeitfenster des liturgischen Ablaufs zu versuchen. Johannes X. Schachtner erweitert die chromatische Orgel um eine weitere vierteltönig verstimmte und kann so auf einer 24-tönigen Skala spielen. Er spiegelt bekannte Gesten und Topoi der Messliturgie mit seiner modernen Sichtweisen und eigenen früheren Messfragmenten und bringt somit hinterfragende wie affirmative Herangehensweisen zusammen. Obendrein verwaltet Johannes den Finanzverkehr des Festivals. Derweil das Ensemble meines Abends im fernen Hamburg probt, ich auf einen Technikstuff bauen kann und die Zeit z.B. für diesen Blog finde, probt Johannes mit den Musikern und Sängern seines Konzerts seit zwei Wochen und hat parallel dazu noch eine Dirigierverpflichtung in Bregenz am Vorarlberger Landestheater. Hier nun ein zwischen Tür und Angel erfolgtes Interview mit ihm, dass ich mit ihm gestern führte.

Ich: Du legst ein Multitasking an den Tag, wo mir älterem Manne ganz schwindlig wird?

Johannes: Bisher sehr gut. Das einzige Wichtige bei Tagen des erhöhten Multi-tasking, dass man alles schön hintereinander macht. Dann hat es nämlich eine durchaus sich gegenseitig befruchtende Wirkung. So wird eine Repertoirevorstellung eine höchst willkommene Abwechslung zu der Anspannung, die die Einstudierung von anspruchsvollen Uraufführungen mit sich bringt und Überweisungen (Johannes ist für die Festival-Finanzen zuständig. Anmerkung der Redaktion) werden zur meditativen Entspannungsübung – und dieses unerwartete Interview ersetzt, wie es eben passiert, die Gute-Nacht-Geschichte. Das alles geht natürlich nicht ohne ein tolles Team, das uns beide bestens unterstützt.

Ich: Am Mittwoch erschien bereits ein Vorbericht zu aDevantgarde in einer Münchener Zeitung, gleich unter einem Interview mit dem Staatsoperintendanten Nikolaus Bachler und einem seiner Sponsoren. Fühlt man sich angesichts solch einer zufälligen Reihung ein wenig wie ein Festspielintendant oder setzen wir bei aDevantgarde nicht eher auf das Kollegialprinzip?

Johannes: Das zeigt mir vorallem, dass wir doch in einer tollen Stadt sind und uns freuen können in so einem Umfeld auch irgendwo unseren Platz mit zeitgenössischer Musik zu haben. Absolutes Kollegialprinzip! Wir werden nicht eine 200 Mann Uraufführung auf die Beine stellen, die Staatsoper wiederum wird auch nicht an einem Wochenende 20 Uraufführungen herausbringen wollen.

Ich: Im besagtem gleichem Münchener Blatt stellte man nach Auswertung der Volksbefragung fest, dass in manchen bayerischen Gemeinden der konfessionsgebundene Feiertag zu Maria Himmelfahrt gefährdet sein könnte, da die Zahl der Katholiken genauso geringer ist wie die Gesamtbevölkerung Deutschlands (statt bisher 82 nur 80 Mio.). Wird man 2023 noch Maria Himmelfahrt in München feiern?

Johannes: In München sicher. Wenn das Wetter schön ist, ist das ja wahrscheinlich der Biergartentag schlechthin. Auch da wird es wieder um alle mögliche Interessen gehen. Maria hin oder her. Aber vielleicht täte es den Kirchen wirklich gut, wenn manche weltlichen Privilegien wegfielen und es im Falle dieses wertvollen Urlaubstages wieder etwas mehr Mühe kosten würde, die einem wichtigen Feste zu begehen.

Ich: Bist Du mit Deinem neuem Werk für die aDevantgarde zufrieden?

Johannes: Naja, nachdem ich das Werk gerade eher aus der Warte des Dirigenten sehe, weil ich ja gerade mitten in den Endproben bin, fällt es mir jetzt schwer, mit Abstand darauf zu schauen. Aber ich weiß noch, dass ich eigentlich schon zufrieden war, als die Noten gerade fertig waren. Insofern: ja.

Ich: Dein Stück heisst „Paralipomenon“. Was bedeutet das?

Johannes: Anhang. Ich wollte damit ausdrücken, dass man bei der Vertonung von Messteilen in jeder Sekunde mit der Historie konfrontiert ist. Dass also mein Sanctus, Benedictus, etc. nicht mehr und nicht weniger ist als eine weitere Vertonung in einer ganz lange Liste. Und jede Vertonung hat ihre Berechtigung, da sie eine Geschichte über ihren Autor und vor allem ihre Zeit erzählt. Für mich scheint die Geschichte schon fast vollkommen zu Ende erzählt, daher nenne ich mein Stück „Anhang“.

Ich: Du hast ja bereits einmal ein „Credo“ für Orgel und Orchester komponiert, jetzt Sanctus/Benedictus und Agnus Dei, früher schon mal ähnliches für Chor samt einem Kyrie. Wann rundest Du Deine bereits komponierten Teile der Messliturgie mit dem noch fehlendem Gloria ab? Oder ist dieses gesamte von Dir initiierte Konzert mit den Werken Deiner Kollegin Ruby Fulton und Kollegen Volker Nickel, Rudi Spring und Manfred Stahnke der vorläufige Abschluss dieser Auseinandersetzung?

Johannes: Ich denke erstmal ja. Das Gloria habe ich in meiner Komposition GLORIOLE abgehandelt, in der es um den Heiligenschein geht. Ich habe in diesem Werk genauso wie in meinem Credo aber ganz bewusst nicht den liturgischen Text vertont.

Ich: Gibt es etwas Besonderes, worauf das Publikum des Abschlusskonzerts hinhören soll?

Johannes: Bei mir ganz konkret: es gibt eine zweite Orgel, die um einen Viertelton versetzt gestimmt ist. Allgemein: die Musik beschäftigt sich mit einer sehr intimen Sache: dem Glauben. Ich denke, die unterschiedlichen Beiträge von Ruby und den anderen sagen eine Menge darüber aus, wie es ihre Komponisten damit halten. Seien Sie also das Gretchen!